Sonntag, 9. September 2007

Tagebuch einer Reise durch Irland - Tag 10

Tag 10

Der nächste Morgen war so richtig sch…lecht.

Ich wurde geweckt von Jan’s Schmerzensschreien. Ich merkte, dass es regnete. Durch den Regen hatten sich lauter Beißfliegen unter Jan’s Tarp versammelt. Seit drei Stunden hatte es geregnet. Jan wusste das, weil er seit drei Stunden von diesen wirklich unfassbar vielen Beißfliegen gefoltert wurde.

Besagte Beißliegen sehen für das ungeschulte Auge aus wie ganz normale Fruchtfliegen, aber wehe Jemand lacht an dieser Stelle! Die Viecher waren wirklich gefährlich. Sie waren total aggressiv und Jan hatte bestimmt über hundert unter seinem Tarp versammelt. Die Bisse waren klein und schmerzhaft und sie juckten und brannten.

3 Stunden.
Ich kann die Schreie noch hören.
Für Jan war das auf jeden Fall der schlimmste Morgen überhaupt. Früh morgens neben einem Haufen Scheiße liegend, von über hundert winzigen, beißenden Fruchtfliegen geweckt zu werden, die dich ohne Pause foltern während du nicht fliehen kannst weil es draußen in Strömen regnet – das ist die Hölle.

Nach einer Weile hörte es auf zu regnen und wir sind sofort da weg, gleich zum nächsten Supermarkt und dann: essen, essen, essen! Den Stress und den Schmerz wegessen. Sich einfach nur besinnungslos essen.

Im Supermarkt haben wir uns Käse, Brot, Schinken und Orangensaft geholt und wollten essen, doch als wir raus gekommen sind hat es angefangen so richtig zu regnen. Wir haben auf dem Weg zurück zum Lager eine halbwegs geschützte Stelle gefunden, bei der es aber leicht durchgeregnet hat. Es haben sich immer so dicke Tropfen angesammelt, die einem dann gezielt in den Nacken gefallen sind. Ein richtig ekliger Morgen.

Während einer Regenpause haben wir dann unser Lager abgebaut und dabei die Scheiße entdeckt. Der Regen hatte sie so weit aufschwemmen lassen dass sie nun gut sichtbar war. Und einer der Heringe von Jan’s Tarp lag mittendrin. Jan hat den Hering dann abgewaschen, was ihn sichtliche Überwindung kostete, doch gegen eine ganzen Nacht neben einem Haufen Scheiße war das wahrscheinlich nichts.

Der Spot… Wenn man genau hinsieht, entdeckt man unten rechts im Bild einen braunen Fleck im Gras. Das ist die Scheiße.

Nach dem Abbauen haben wir uns so schnell es ging unter einen Unterstand beim Supermarkt verkrochen. Da war ne Bank. Wir haben uns hingesetzt und mit dem gelben Wasser Kaffee gekocht. Der Kaffe sah aus wie mit Safran versetzt, schmeckte aber ganz in Ordnung. Wir mussten da ne ganze Weile rumsitzen, da es nicht aufhörte zu regnen.

Da waren zwei hyperaktive, kleine Kinder, denen ihre Eltern große Plastikbälle mit einer Gummischnur an den Kragen geheftet hatten. War ein wirklich seltsamer Anblick. Die Kinder schienen unfähig aufzuhören die Bälle zu treten. Das ältere der beiden Kinder hatte es irgendwann richtig drauf und trat immer selbstbewusster und energischer auf den Ball ein. Das kleinere Kind war weniger geübt. Ihm sprang der Ball ständig gegen den Kopf wie um es zu strafen, was es aber nur noch verbissener machte.

Schien eine gute Methode zu sein die Kinder außer Gefecht zu setzen, und passiv zu erziehen oder so. Sobald die Eltern wiederkamen und den Kindern die Bälle von den Jacken knipsten, fingen sie sofort an laut zu werden und Forderungen zu stellen, als wäre ein Bann gebrochen. Während sie mit den Bällen beschäftigt gewesen waren hatten sie kein Wort gesagt.

Nach viieel Regen sind wir schließlich irgendwann an die Straße nach Letterfrac gegangen. In Letterfrac gab es ein ganz nettes Hostel das Jan kannte, aber eigentlich wollten wir zu einem tollen Spot den Jan während seinem letzten Irlandurlaub entdeckt hatte.

[Aufmerksame Leser werden hier zum zweiten Mal innehalten und bemerken, dass Jan und ich durch unsere Reiseroute heftig an einem unserer 7 Grundpfeiler für die Reise rüttelten. Wir wollten ja eigentlich die Orte vermeiden die Jan schon kannte, aber nach diesem Morgen hatten wir ein zu großes Bedürfnis nach ein wenig Sicherheit was unseren Schlafplatz anging.]

Beinahe sofort hat ein sehr nettes, junges Pärchen mit einem Baby für uns gehalten. Wir hatten Zweifel ob wir ins Auto passen mit dem ganzen Gepäck und dem Baby, aber die beiden wollten uns nicht stehen lassen und haben uns geholfen bis wir drin waren, ich vorne mit Jan’s Rucksack auf dem Schoß, Jan hinten mit dem Mann und dem Baby.

Die beiden waren sehr nett, besonders der Mann war kommunikativ. Hat uns lauter Fragen gestellt und wir haben begeistert all unsere Geschichten erzählt. Nur dass wir morgens in Scheiße aufgewacht sind haben wir verschwiegen. Dachten das würde uns nicht besonders attraktiv machen als Tramper.

Rückblickend bin ich wirklich froh dass wir so weitsichtig waren, denn als wir das Gespräch auf Couchsurfing lenkten und erwähnten, dass wir noch keinen Platz zum schlafen hatten und all unsere Sachen komplett nass waren (was wir in dem Moment nur erzählt haben um abenteuerlich und verwegen zu wirken), haben sie uns tatsächlich angeboten bei ihnen zu Hause zu übernachten.

Sie haben erstmal bei einem Pub in Letterfrac halt gemacht und gemeint, wir könnten uns das Angebot überlegen und zu ihnen ins Pub kommen wenn wir mitwollten. Sie hießen Bevan und Vanessa und ihr kleiner Sohn hieß Rowan. Wir haben es uns also überlegt und waren ein klein wenig misstrauisch bei so viel Güte & Nettigkeit. Die beiden waren wirklich unglaublich nett. Auf eine beinahe einschüchternde Art, eine Art die einen still und nervös werden ließ und dazu brachte, dass man sich genau überlegte was man als nächstes sagte. Wir dachten sie wären vielleicht in einer Art Sekte...

Wir sind also zu ihnen ins Pub und sie haben uns, unseren Protest ignorierend, ein Pint Guiness spendiert (weil wir sie in einer Art Kompromiss auf ein Pint runtergehandelt hatten, zuerst waren es zwei Pints und was zu Essen). Wir haben uns dann ein wenig unterhalten und ihnen schließlich mitgeteilt dass wir sehr gern bei ihnen übernachten würden, falls es nur kein Problem sei und es keine Umstände mache etc.

Sie haben uns schließlich zu ihrem Haus gefahren, das unweit vom Strand lag und rote Fensterläden mit herzförmigen Löchern hatte. Als wir das Haus betraten, war das erste was wir sahen ein Jesus-Bild im Eingangsbereich, da haben wir uns kurz sorgen gemacht. Dann kam ein Zimmer mit Buddhastatue und abstrakten Bilden, nun wussten wir nicht ob wir erleichtert oder noch besorgter sein sollten.

Nach einer kurzen weile bot mir Bevan an mit ihm vor der Tür eine zu rauchen,

"Say Kuai, would you like to have a smoke outside?"

und wir haben uns dabei ein wenig unterhalten. Bevan und Vanessa waren erst vor zwei Wochen in das Haus gezogen. Die Einrichtung war Teilweise noch von den Vorbesitzern(pink & neonfarbene Wände, Herzen etc.). Bevan war nicht religiös, Das Jesusbild gehörte wohl zum Haus, die Buddhastaue gehörte Vanessa, die Yogalehrerin war, und das abstrakte Bild war von einem Freund gemalt worden.

Wir haben uns gleich viel wohler gefühlt. Als ich meinte mir wäre kalt (mir war tatsächlich kalt), hat Bevan mir einen lustigen großen Schafswollpulli gegeben.














Ich mit Kippe, Wein & Schafswollpulli im Eingangsbereich des Hauses.

Wir haben dann „Curry“ gegessen, was sehr lecker war. Sogar einen Wein haben sie für uns entcorkt!

Die Küche.

Der Wohnzimmerkamin (das Wohnzimmer hatten Vanessa & Bevan bereits selbst eingerichtet, war sehr gemütlich)

Nach dem Essen brachte Vanessa Rowan ins Bett. Bevan setzte sich noch mit uns an den Kamin, wo wir geraucht und uns unterhalten haben. Über sein Berufsfeld Archäologie (Er summte Rowan manchmal die Indiana Jones Titelmelodie zu), gute Filme, gute Musik, Terry Pratchett, Studium und Familienglück.

Er entpuppte sich als ein unheimlich netter Typ mit einem sehr trockenen Humor. Zu seiner sehr netten und gewählten Ausdrucksweise meinte er, dass er sich die angewöhnt habe seit er mit Rowan spricht.
Er erzählte dass er realisiert habe dass seine Ausdrucksweise für andere etwas seltsam klinge, als er, als einem Freund der ihn besucht hatte etwas zu Essen auf den Boden gefallen war,

„Oopsie!“

gesagt und der Freund ihn mit hochgezogenen Augenbrauen angesehen habe. Nach einer weile zückte Bevan einen guten alten Whisky den er von seinem Vater geschenkt bekommen hatte

"Say, Kuai, would you like a glass of Whisky?"

und wir haben noch zusammen getrunken. Als wir ihm erzählten, dass wir bald nach Dublin mussten und da noch keine Bleibe hatten, bot er uns an einige Freunde dort zu fragen ob wir bei ihnen übernachten könnten. Wir waren angemessen begeistert.

Das war wirklich der mit Abstand beste Abend der Reise, da sind Jan und ich uns einig. Und das gleich nach dem schlechtesten Morgen.

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